„Gestressten“ Menschen empfiehlt man üblicherweise, sich abzuregen bzw.
zu entspannen. Nach Ansicht von Wolfgang E. Reuber ist ein solcher
Vorschlag jedoch gesundheitsschädlich. Denn „Gestresste“ werden meist
völlig von ihrem „Stress“ vereinnahmt und nehmen vom „Rest der Welt“ immer
weniger wahr. Da sich für sie alles nur noch um den Stress dreht, droht
allen nicht geforderten Sinnesorganen und Gehirnbereichen die Gefahr zu
verkümmern (ähnlich wie ein Muskel, den man nicht benutzt).
Bedauerlicherweise merken die Betroffenen dies nicht, da sie ja nur ein
Bewusstsein haben, das – durch Stressbewältigung völlig vereinnahmt – die
wachsenden sonstigen Defizite nicht registriert. Da die Auseinandersetzung
mit dem „Stressor“ die gesamte Konzentration beansprucht, merken sie
nicht, was ihnen alles entgeht. Es sei wie beim „Lauschen im Finstern“,
meint Reuber: Wir glauben schärfer zu hören, doch in Wirklichkeit sehen
wir weniger. Um
zur Ruhe zu kommen, neigen Gestresste dazu, sich mit Medikamenten, Alkohol
oder anderen „Beruhigungsmitteln“ zu betäuben. Dieser Ansatz schlägt in
der Regel jedoch in mehrfacher Hinsicht fehl, da nur das Bewusstsein
ausgeschaltet wird. So können die Stressfaktoren selbst auch unbewusst
weiter wirken, die Betäubungsmittel sind oft selbst gesundheitsschädlich
und als Folge der „Betäubung“ verarmt das ohne schon eingeschränkte
Erlebnisvermögen noch mehr. Letztlich erreichen nur noch sehr
grobschlächtige, grelle Sensationen die Innenwelt. Da die
„Ruhiggestellten“ nur noch wenig von der Welt mitbekommen, werden sie auch
geistig immer weniger leistungsfähig.
Ein mögliches
Gegenmittel besteht darin, die „plumpen Sinne“ wieder zu beleben,
„Betäubungsmittel“ auf das unbedingte Muss zu reduzieren und das in vielen
Bereichen unterforderte Gehirn neu anzuregen. Um letzteres zu erreichen,
sollte man sich den Nebensächlichkeiten zuwenden: bei Spaziergängen und
Mahlzeiten vermehrt riechen und schmecken, statt bei diesen Gelegenheiten
über Finanzen, Politik oder Beziehungen zu diskutieren oder nachzudenken.
Qeulle: W. E. Reuber:
Anregen statt Abregen. Ein Weg aus dem Stress. Informationen der
Herzstiftung 2001?
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